Seven Senders hat drei Spezialisten zu Chancen und Herausforderungen der Blockchain-Technologie befragt.
Die Technologie Blockchain macht Schlagzeilen in der Logistik-Branche: 90 Prozent der Blockchain-basierten Projekte, die innerhalb von Lieferketten zur Anwendung kommen, sorgen für Probleme – so die Ergebnisse einer Studie des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens Gartner.
Branchen-Kenner erklären Blockchain dennoch zu einer Technologie, um die man kaum noch herumkommt, gerade in der Logistik. Wie ist Blockchain einzuschätzen? Die Journalistin Ina Kaifi hat für SEVEN SENDERS drei Spezialisten dazu befragt, wie Blockchain funktioniert und wie sie die Technologie einschätzen
Es war einmal …
Wir schreiben das Jahr 2008. Die Welt befindet sich im finanziellen Super-GAU: Banken crashen, Menschen verlieren ihre Häuser, an der Wall Street herrscht Panik. In dieser Hochphase des Tiefpunkts kursiert plötzlich unter dem Namen Satoshi Nakamoto ein Papier, in dem es um eine neue Währung geht – vielmehr um ein neues System: eine digitale Kryptowährung, genannt Bitcoin. Banken sind hier überflüssig. Keine Mittelsmänner, keine Lehman Brothers. Wie soll das gehen? Die Antwort heißt: Blockchain.
Blockchain ungleich Bitcoin
Seitdem wandert der Begriff durch alle Netze. Aber nur wenige scheinen zu wissen, was Blockchain überhaupt ist. Einer von ihnen ist Prof. Wolfgang Prinz, stellv. Institutsleiter von Deutschlands Think-Tank, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT. Ein Team aus 15 Wissenschaftlern setzt sich hier intensiv mit Blockchain auseinander.
Prof. Prinz weiß, dass er beim Erklären ganz vorn beginnen muss. „Zunächst geht es darum, zu verstehen, dass Bitcoin nur eine Anwendung einer Technologie ist, der Blockchain“, erklärt er. „Die Technologie kann aber viel, viel mehr, als nur eine digitale Währung zu generieren.“
Blockchain ist eine spezielle Form einer Datenbank. Im Gegensatz zu herkömmlichen Datenbanken ist sie aber erstens dezentral organisiert und zweitens fälschungssicher.
Der Herr der Daten
„Stellen Sie sich ein antikes Kontor – also eine Geschäftsniederlassung – vor“, sagt Prof. Prinz. „Bis unter die Decke sind die Schubladenschränke gefüllt mit beschriebenem Papier. Ein Kontor ist im Prinzip eine analoge Datenbank. Im Zuge der Digitalisierung wurden all diese Dokumente in Daten übersetzt.“
Seitdem sind Daten zahlenmäßig explodiert und lagern auf gigantischen Servern. Sie sind zum kostbaren Gut geworden. Eines hat sich jedoch nicht verändert: Es handelt sich nach wie vor um ein zentrales Prinzip. Denn genau, wie der Kontorist der Herr der Daten war, so haben auch zentrale Datenbanken einen Besitzer. Das kann eine Bank sein, das kann aber auch ein Unternehmen oder Privatmann sein. Irgendwo laufen die Daten zusammen. Blockchain funktioniert anders.
Von zentral zu dezentral
„Hier haben wir nicht den einen Kontoristen, sondern viele“, so Prof. Prinz. „Alle sind Teilnehmer oder Mitglieder des Netzwerkes. Und jeder von ihnen bildet auf seinem Rechner die Daten ab. Das ist der wohl wichtigste Unterschied zu herkömmlichen Systemen.“
An dieser Stelle stellt sich sofort Skepsis ein. Eine Art offenes System, alle sind die Chefs – wer hat denn da die Kontrolle? Die Blockchain selbst! Das Zauberwort ist Kryptologie – Verschlüsselung.
Die Vertrauensmaschine
In der Blockchain – übersetzt: Kette von Blöcken – werden Daten zu sämtlichen Informationen und Transaktionen in einer fortlaufenden Kette von Blöcken angeordnet.
Jede einzelne Änderung in der Datenbank wird eine nach der anderen abgespeichert. „Deshalb sind Änderungen nachvollziehbar, sprich: Die gesamte Historie bleibt erhalten. Im Nachhinein können die Blöcke nicht verändert werden, da sie kryptologisch miteinander verbunden sind“, erläutert Prof. Prinz.
Jeder Teilnehmer der Blockchain synchronisiert permanent seine Datenkette – das bedeutet auch: „Versucht in der Blockchain jemand, Daten zu manipulieren, fliegt das sofort auf – und zwar bei allen. Das macht Manipulationen quasi unmöglich“, sagt Prof. Prinz.
Und hier wären wir beim Thema Datensicherheit. Transparenz statt Vertrauen – so lässt sich die Sache auf den Punkt bringen. Die englische Zeitschrift „The Economist“ beschrieb Blockchain als die „Trust Machine“.
Eine Vertrauensmaschine also, die für Prof. Prinz zahlreiche Chancen in vielen Lebens-, Unternehmens- und auch Bildungsbereichen birgt. Vor allem auch in der Logistik.
Ein gutes Paar: Blockchain und Logistik
Denn was bedeutet es, wenn eine Technologie Abläufe – sogar in Echtzeit – abbildet, die man lückenlos nachvollziehen und denen man vertrauen kann?
Ein großer Blockchain-Verfechter ist Dr. Ulrich Franke. Er hat Logistik von der Pike auf gelernt und in Führungspositionen internationaler Logistikunternehmen gearbeitet. Inzwischen berät er Unternehmen zum Thema Blockchain.
Dr. Franke sieht Riesenpotenziale in Bezug auf die gesamte Supply Chain – von Dokumentation über Track & Trace, Produktion und Distribution bis hin zum Asset-Transfer, also der Transaktion sämtlicher Eigentumsrechte. „Gerade in Hinblick auf komplexe logistische Prozesse, an denen viele Partner beteiligt sind, bietet Blockchain zahlreiche Perspektiven“, sagt Dr. Franke.
Bisher hat jedes Unternehmen sein eigenes kompliziertes und geschlossenes Netzwerk. Das Einrichten von Schnittstellen, zum Beispiel zu Logistikpartnern oder auch zu Kunden, stellt häufig große Herausforderungen dar.
Blockchains aber können alle Beteiligten auf sehr unkomplizierte Weise miteinander verbinden, da das Netzwerk für jeden offen ist. Das bedeutet aber keinesfalls, dass alles für jeden einsehbar ist.
„Die Partner bestimmen im Detail, welche Daten von wem genutzt werden können“, erklärt Dr. Franke. Die hohe Sicherheit der Blockchain beugt dem vor, was viele so fürchten: Trojaner. „Ist in zentralen Datenbanken die Firewall einmal durchdrungen, so gilt das Motto: Wer drin ist, ist drin. Bei der Blockchain existiert diese Gefahr nahezu nicht“, so Dr. Franke.
Alle Teilnehmer der Blockchain können auf identische Informationen zugreifen. Auftragsdokumente werden digital signiert und dezentral gespeichert. Weltweit ist eine sichere Authentifizierung von Assets – etwa Container, Waggons, Pakete– möglich. Die Blockchain gilt als fälschungssicher.
Das Wenn-dann-Prinzip oder: Smart Contracts
Dass Blockchains ein hohes Maß an Sicherheit bieten, ermöglichen die sog. „Smart Contracts“, ein Begriff, der immer wieder in Verbindung mit Blockchain und Logistik auftaucht.
Smart Contracts – nicht zu verwechseln mit Geschäftsverträgen – funktionieren nach dem Wenn-dann-Prinzip. Ein Beispiel: Ein Händler will ein Gut von A nach B transportieren. Er schreibt ein Angebot in die Blockchain. Dieses kann von angebundenen Lieferdiensten eingesehen werden. Der Dienstleister mit dem besten Angebot bekommt automatisch den Zuschlag.
Sobald das Produkt angekommen ist – belegt durch eine Bestätigung des Empfängers etwa –, erkennt der Smart Contract: alles erfüllt. Nun wird die Zahlung automatisch ausgelöst. Blockchains sind also im Grunde autonome, besonders schlaue und überaus effiziente Systeme zur Speicherung und Transaktion von Daten. Die weitere Systeme kreieren können. Und hier wird es laut Franke besonders spannend.
Mit Blockchain zum Lieblingskaffee
Denn die Kombinierbarkeit von Blockchain mit anderen Technologien, wie etwa künstlicher Intelligenz (KI) und dem Internet der Dinge (IoT), schaffe vollkommen neue Geschäftsmodelle, die seiner Meinung nach die Kraft haben, die Industrie 4.0 zu revolutionieren.
Ein Beispiel: Eine Lieferung mit dem Ziel Moskau ist mit der Blockchain vernetzt. Diese kreiert deren Routing mithilfe von KI. Dann schickt sie eine Anfrage an Taxis. Das autonom fahrende Taxi kommt zum Flughafen, übernimmt das Päckchen und bringt es zum Empfänger. Hier kann man den Faden endlos weiterspinnen: Vielleicht erfährt das Päckchen über Big Data, dass es in Moskau schneit, und nimmt doch lieber die Drohne … Die Blockchain ist nicht nur eine weitere Technologie, sondern die Verbindung von Technologien. Alles in allem aus Dr. Frankes Sicht „der absolute Hammer“.
Zukunftsmusik? Laut Dr. Franke eine schon deutlich hörbare. Auch die Schwachstellen von Blockchain – hoher Energieverbrauch und Langsamkeit – bekomme man langsam in den Griff. Blockchain befinde sich bereits in der Phase 2.0.
Eine Sorge hat Dr. Franke allerdings: Die Blockchain komme hierzulande nicht so richtig in Gang. „Wir sind zwar relativ gut in Forschung und Entwicklung, aber in der Anwendung und Umsetzung sind wir extrem schlecht“, meint er. „In den USA, in China und Indien brummt das Thema, und die guten Programmierer aus dem Silicon Valley werden längst von Blockchain-Firmen abgeworben.“ Seine Mission: Aufklären.
„Wir stehen ganz am Anfang“
Dass Blockchain hier noch in den Kinderschuhen steckt, erfährt David Holtkemper bei seiner täglichen Arbeit. Er leitet die Fachgruppe Supply-Chain-Management am FIR an der RWTH Aachen. Das Forschungsinstitut beschäftigt sich mit Betriebsorganisation, Unternehmens-IT und Informationslogistik und arbeitet eng mit Unternehmen zusammen. Ziel ist es, „die Lücke zwischen Forschung und Industrie zu schließen“.
Auch Holtkemper begeistern die kryptografischen Blöcke – allerdings mit einer gewissen Zurückhaltung. Er sieht Schwachstellen, zum Beispiel beim Schreiben der Daten ins System. Kann der amerikanische Einzelhandelskonzern Wal-Mart, der Blockchain für sich entdeckt hat, wirklich mit dieser Technik die Herkunft jeder Mango zurückverfolgen, wie er behauptet? „Das ist nur möglich, wenn am Ursprungsort der Mangobauer die Verladung der Frucht auch wirklich und wahrheitsgetreu ins System einspeist“, sagt Holtkemper.
„Wir stehen ganz am Anfang“, so Holtkemper, für den Blockchain ein spannendes Experimentierfeld ist. Klein anfangen, so lautet seine Devise. In Zusammenarbeit mit dem Elektro-Kleinwagen-Produzenten e.Go Mobile entwickelt das FIR ein Blockchain-Servicebuch.
„Zunächst einmal geht es darum, dass Unternehmen sich öffnen und herausfinden, ob Blockchain überhaupt sinnvoll für sie ist“, sagt Holtkemper. Wenn das der Fall ist, ist das System schnell aufgesetzt, in einem Fall war das in drei Tagen erledigt.
„Die Herausforderung ist nicht nur die Technologie, sondern ganz besonders das Projektmanagement und das Finden eines passenden Use-Cases“, erklärt Holtkemper. Wie managt man ein Projekt, bei dem mehrere Partnerunternehmen gleichberechtigt sind?
Dezentrale Netzwerke bedeuten auch: Keiner hat „den Hut“ auf. Und an dieser Stelle sind viele Verantwortliche skeptisch: Was passiert wirklich mit den so sorgsam gesammelten Daten? IBM liefert bereits Lösungen für unternehmenseigene Blockchains. Aber widerspricht das nicht dem Gedanken des offenen Netzwerks?
Es geht auch darum, neu zu denken
Noch einmal zurück zu Satoshi Nakamoto, über den bis heute übrigens nicht bekannt wurde, wer er eigentlich ist. Er wollte die Banken als zentrale Instanzen durch eine transparente, vertrauenswürdige Währung ersetzen.
Die Idee von Blockchain, den einen Kontoristen abzuschaffen, hat eben auch etwas sehr Basisdemokratisches. Sind Wettbewerb und Blockchain überhaupt miteinander zu verheiraten? Und sind die Probleme, die laut einer Studie des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens Gartner bei Blockchain-basierten Projekten innerhalb von Lieferketten auftreten, ein Zeichen dafür, dass Blockchain doch nicht die durchschlagende Technologie der Zukunft ist?
90 Prozent der Firmen, so Gartner, sehen sich vor großen Herausforderungen, zum Beispiel, was die Entwicklung serientauglicher Produkte betrifft. Die Komplexität von Blockchain sei Kunden zudem schwer zu vermitteln. Diese Ergebnisse könnten aber auch aussagen, dass es sich um für Neuerungen übliche Startschwierigkeiten handelt.
Eins steht fest: Blockchain bringt viele Fragen mit sich. Holtkemper sieht das so: „Wie bei jeder neuen Technologie geht es auch bei Blockchain nicht nur darum, Neues zu verstehen. Sondern auch darum, neu zu denken.
In fünf Schritten zur Blockchain
Sie möchten erfahren, ob Blockchain für Ihren Anwendungsfall infrage kommt? Diese Steps schlägt David Holtkemper, Leiter der Fachgruppe Supply-Chain-Management am FIR an der RWTH Aachen, Unternehmen vor:
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Schritt: Potenzielle Blockchain-Use-Cases mithilfe von externenDienstleistern identifizieren und prüfen, ob sie funktionieren.
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Schritt: Technische Fragen erörtern: Wie muss ich Blockchain programmieren, damit es in meinem Unternehmen funktioniert?
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Schritt: IT-Architektur des Unternehmens verstehen und ggf. Daten zusammenführen.
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Schritt: Das Geschäftsmodell des Use-Cases erarbeiten.
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Schritt: Auf Partner zugehen und bei ihnen die gleichen Schritte durchführen.
Prof. Wolfgang Prinz, PhD, stellv. Institutsleiter Fraunhofer FIT, beschäftigt sich im Rahmen des Blockchain-Labs von Fraunhofer FIT mit den technischen Grundlagen der Blockchain und der Entwicklung und Analyse von blockchain-basierten Anwendungen.
Kontakt: wolfgang.prinz@fit.fraunhofer.de
Dr. Ulrich Franke, Leiter Institute for Supply Chain Security GmbH, arbeitete in führenden Positionen bei Industrie- und Logistikunternehmen im In- und Ausland, war als Professor für Logistik und Supply-Chain-Management an der privaten SRH Hochschule für Logistik und Wirtschaft in Hamm tätig und leitet seit 2013 das Institute for Supply Chain Security GmbH (http://supply-chain-security.org), das u. a. Beratung zum Thema Blockchain anbietet. Kontakt: ulrich.franke@supply-chain-security.org
David Holtkemper, Leiter der Fachgruppe Supply-Chain-Management am FIR an der RWTH Aachen, beschäftigt sich mit Anwendungsbereichen, Konzepten, Geschäftsmodellen, IT-Architekturen für das Supply-Chain-Management/Logistik und in diesem Zusammenhang verstärkt auch mit Blockchain.
Kontakt: David.Holtkemper@fir.rwth-aachen.de